Die Zeiten, in denen Schriftsteller schlecht und recht von Verlagen alimentiert jahrelang an ihren Werken arbeiten konnten, sind definitiv vorbei. Der heutige Indie-Autor steht unter dem Druck, in stetiger Folge Bücher zu veröffentlichen; sein Werk wird durch Rezensenten öffentlich bewertet. Es gilt also, schnell Geschichten aufzubauen – und gleichzeitig den Leser emotional zu binden und durch gute Charaktere und Storys zu unterhalten.
Mit „Charakter Dynamics“ möchte ich diesen Prozess unterstützen: durch eine einfache, aber stringente Methodik wird die Schaffung von glaubhaften, generischen Archetypen erleichtert, die in der Folge verfeinert und abgewandelt werden können. „Character Dynamics“ unterstützt die Interaktion zwischen Charakteren, hilft bei der Konstruktion von Entwicklungen und Abstürzen – und zeigt auf, wo Leseremotionen geweckt werden können.
Character Dynamics: Sieben Leitmotive
Aus Persönlichkeit, Umfeld und Gesellschaft entstehen Leitmotive, die das Handeln und Denken von Menschen bestimmen. Wenn es uns gelingt, unseren Charakteren glaubhafte Motive zu verleihen, wirken sie lebensecht – und ihre Interaktion mit anderen Charakteren wird nachvollziehbar.
Die sieben generischen Leitmotive von „Character Dynamics“ beschreiben Lebenssituation, Persönlichkeit und ganze Kulturen im Wandel der Menschheit.
Die hier vorgestellten Leitmotive sollen grundlegende Eigenschaften von Archetypen illustrieren, die als Figuren in der Belletristik verwendet werden können. Selbstverständlich können und sollen literarische Charaktere auch wesentlich differenziertere Eigenschaften als die unten beschriebenen haben. Grundsätzlich aber geben die vorgestellten Leitmotive dem Leser Halt und helfen ihm, Handlungen von Charakteren zu bewundern oder zu verurteilen – kurz, dem Helden unserer Geschichte emotional zu folgen.
Im beigen Motiv des reinen Überlebens handelt unser Archetyp reaktiv. Es geht ihm darum, die nächste Nacht zu überleben – er ist ausschließlich auf sich selbst konzentriert. In der Menschheitsgeschichte ist das die dunkle Ära vor der Stammesbildung, in unserem Leben die erste Stunde als Säugling auf der Welt. Im „Character Dynamics“ Persönlichkeitsmodell ist ein Mensch, der sich auf dieser Stufe befindet, eine „Verlorene Seele“, die aus eigener Kraft nicht mehr in der Lage ist, sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Rettung aus dieser Not kann nur ein anderer Mensch, ein Symbol oder ein magischer Vorgang bringen … und unseren Charakter auf die nächste Ebene heben: Purpur.
Das purpurne Motiv von Geborgenheit, Heimat und Familie illustriert das Zeitalter der Stammesbildung mit all seinen ungeschriebenen Gesetzen, magischen Symbolen, Ritualen und einer beseelten Umwelt. In unserer Kindheit erlebten wir den engen Bezug zu den Eltern, unsere Spielsachen schienen lebendig und unser Verständnis von der Welt war sehr begrenzt. Es galten für uns die Regeln der Familie; auch heute neigen Menschen, die nach diesem Motiv leben, zur Kleingruppe, die ganz eigenen, oft archaischen und ungeschriebenen Gesetzen folgt. Der Einzelne zählt hier wenig – Purpur ist ein auf das „Wir“ bezogenes Leitmotiv. Aus so einem starken Verband auszuscheren und eigene Wege zu gehen, erfordert Mut … und eine gewisse Rücksichtslosigkeit, die jeder von uns an den eigenen Eltern ausleben durfte.
Mut bis hin zur Waghalsigkeit verleiht das rote Motiv von „Freiheit und Kampf“. In unserer eigenen Geschichte ist es die Pubertät; in der Weltgeschichte die blutige Entwicklung der frühen Imperien. Ein Charakter, der sich im roten Motiv befindet, lehnt jegliche Gängelung ab, folgt seinem Willen und genießt das reine Adrenalin, das sich nach einem Sieg in seinem Körper verbreitet. Bald wird klar: wenn jeder nur für sich kämpft, endet das alles in einem ewigen Schlamassel – weswegen es nötig ist, Ordnung zu schaffen. Das führt uns zum nächsten Leitmotiv.
Das blaue Motiv von „Pflicht und Nation“ bedeutet in unserem Leben den Eintritt in die Schule. In der Geschichte war es die Stabilisierung der großen Imperien, die Erfindung der Schrift erlaubte das Verfassen allgemein gültiger Gesetze. Im starken Wir-Gefühl einer Nation entstehen Kirche, Militär, Polizei, Steuerbehörden, Sportvereine und Gerichtsbarkeit. Jeder Bürger bringt sich für das große Ganze ein; Abweichler, Ungläubige und Außenstehende werden ausgegrenzt oder umerzogen; Lehrmeinungen und Glaubenssätze dürfen nicht in Frage gestellt werden. Jeder Mensch hat seinen unverrückbaren Platz im sozialen Gefüge, die „Opferbereitschaft“ genießt einen hohen Stellenwert. Den Lohn für all den Einsatz erhalten die Menschen später im Himmel oder als als Rente; oder rein symbolisch in Form einer Urkunde oder durch einen Orden aus Blech. Doch nicht jeder ist bereit, dauerhaft Verzicht zu leisten … warum nicht jetzt genießen, was man kriegen kann?
Das orange Motiv von „Erfolg und Wachstum“ stellt alles bisherige in Frage; wissenschaftliche Erkenntnisse der Moderne bringen Überlieferung und Glauben ins Wanken, die „Machbarkeit“ wird grenzenlos. Leistung verspricht sofortigen Gewinn, mancher Tellerwäscher wird zum Millionär. In der Geschichte der Menschheit begann dieses Zeitalter im 18. Jahrhundert mit einer explosiven Entwicklung in den vielfältigen Bereichen der Philosophie, Naturwissenschaft und Technik. Unsere Zivilisation baut auf diesen Errungenschaften auf: Medizin, Agrartechnik, Energiegewinnung, Mobilität und Information. Der orange Charakter glaubt fest daran, dass jedes Problem durch Forschung und persönlichen Einsatz lösbar ist. Auf der anderen Seite entstehen durch das orange Motiv schwere Schäden: die Umwelt wird gewissenlos ausgebeutet, ganze Völkerschaften geraten in einen ökonomischen Würgegriff, die Grenzen des Wachstums werden sichtbar. Ganz nebenbei leiden auch Partnerschaft und Familie unter einem Charakter, der unter erfolgsorientiertem Dauerstrom steht. Zeit für ein neues Leitmotiv!
Mit ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, Frieden und Harmonie bringt das grüne Leitmotiv wieder einen wärmenden Kuschelfaktor in unser beschleunigtes Leben. Für blaue und orange Zeitgenossen unfassbar: ein grüner Charakter verzichtet freiwillig auf das Auto, zahlt den doppelten Preis für fair gehandelten Kaffee, kleidet sich in teure, aber gleichzeitig einfach wirkende Stoffe, fordert Mitbestimmung, Diskussionsbereitschaft und mehr Zeit für die Familie! Unser Leben und sein Raum gehört allen – das erfordert Akzeptanz, Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Verzicht auf persönliche Bequemlichkeit. Im grünen Leitmotiv steht die Familie nicht mehr als magischer Schutzraum (purpur) oder kirchlich und staatlich garantierte Kinderproduktionsstätte (blau), sondern als übergeordneter Begriff einer Welt- und Wertegemeinschaft. In dieser Anforderung übersieht sich der grüne Charakter oft selbst, es wächst die Sehnsucht nach Selbstverwirklichung, ohne die Sünden des orangen Leitmotivs zu wiederholen.
In der Reife des Alters entsteht das gelbe Leitmotiv von „Weisheit und Welt“. In der Menschheitsgeschichte haben wir dieses Motiv noch nicht erreicht – in der Zukunft könnte eine solche Einstellung es ermöglichen, dass die Menschen auf diesem Erdball in Ausgeglichenheit, fairer Chancenverteilung und wechselseitiger Akzeptanz ihre persönlichen Ziele im Rahmen der allgemeinen Bedingungen erreichen können. Ohne Kriege, Ausbeutung, Verzicht und Mangel.
„Character Dynamics“ ist eine stark vereinfachte Abwandlung von „Spiral Dynamics®“, das als „Ebenenmodell der Persönlichkeitsentwicklung“ von Clare W. Graves um 1960 entwickelt und von Don Beck und Chris Cowan um die Jahrtausendwende als Management- und Politikmodell fortgeführt wurde. Nelson Mandela, Tony Blair und Bill Clinton waren überzeugt von „Spiral Dynamics®“ und legten ihre Entscheidungen danach aus. Das Buch „Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel“ ist ein lesenswertes Buch für alle Autoren, die sich mit Persönlichkeitsentwicklung und dem Zusammenspiel von Kulturen beschäftigen; hier gehts zur Kindle-Edition.
Der Aufstieg ist mühsam, der Fall kommt schnell!
Das Leben unserer Archetypen ist von Verharren, Aufstieg und Fall gekennzeichnet. In spannenden Plots bewegen sich die Heldinnen und Helden durch verschiedene Lebenssituationen, stürzen ab, kämpfen sich hoch, verändern sich. Das lässt sich durch „Charakter Dynamics“ auf einfache Weise illustrieren.
Die erste Regel: das Wachstum muss immer schrittweise erfolgen, der Fall kann unvermittelt und bis auf den Grund erfolgen.
Ein Aufstieg von einem Leitmotiv ins nächste ist ein anspruchsvoller Prozess, den unser Archetyp nur unter Aufbringen aller Kräfte oder die tatkräftige Hilfe durch Unterstützungscharaktere schaffen kann.
So ist es für einen freiheitsliebenden, roten „Bad Boy“ sicherlich nicht leicht, das blaue Leitmotiv von „Pflicht und Nation“ anzunehmen – will er aber die Tochter eines gestandenen Bürgers heiraten, wird ihm keine Wahl bleiben; die Alternative wäre, die junge Dame in sein rotes Leben zu integrieren und im Elend einer „Bonny und Clyde“ Beziehung zu enden.
Schwer wiegt auch der Entschluss des Sohns eines purpurnen Clans, den eigenen Hof zu verlassen und „rot“ für sein persönliches Glück zu kämpfen. Wird er nach dem Sieg den Weg zurück in sein Heim finden? Oder erreicht er gar eine neue Stufe, indem er den Anschluss an eine größere, blaue Gesellschaft findet?
In den beliebten „Millionärs“-Romanzen geht es meist darum, den egoistischen Lauf eines orangen Erfolgsmenschen durch grüne Liebe zu brechen. Die Liebe verhilft auch dem verlorenen Aschenputtel zu purpurner Heimat und Familie – und Romeo und Julia zum Bruch blauer Konventionen in den selbstbestimmten gemeinsamen Tod.
In vielen Geschichten, die eine Entwicklung illustrieren, wechseln Charaktere durch Zwang oder eine große Ungerechtigkeit ihr Leitmotiv. So entwickelt sich Erin Brockovich im gleichnamigen Film mit Julia Roberts von der orangen, in die Jahre gekommenen Schönheitskönigin zur grünen Kämpferin für Recht und Umweltschutz – und erhält neben ihrem Sieg für die Gerechtigkeit und ein besseres Leben einen ganz weltlich-orangen Lohn dafür. Dieser Film eignet sich also für ein blaues (Gerechtigkeit), oranges (persönlicher Einsatz und Belohnung) und grünes Publikum (Kampf für Entrechtete und die Umwelt) …
Ein Abstieg von einem Leitmotiv in darunter liegende wird immer durch eine Katastrophe, einen Unfall oder einen zerstörerischen Zwang ausgelöst. Ein solcher Schritt ist von Verzweiflung und starkem Verlustgefühl begleitet. Meistens bleibt es nicht bei diesem einen Rückschlag: unser Charakter stürzt bis auf den Grund ab. Wird ein oranger Erfolgsmensch ins Gefängnis gesperrt (ein blaues Korrekturmotiv), kann er selbst bis ins beige Leitmotiv abstürzen und muss sich dann schrittweise wieder nach oben kämpfen.
Wird ein Mitglied einer blauen Gesellschaft etwa durch einen Bürgerkrieg in eine rote, gesetzlose Gewaltherrschaft zurückgesetzt, wird er zunächst im beigen Motiv des reinen Überlebens landen, wird hoffentlich purpurne Hilfe durch Familie, Freunde oder Flüchtlingshelfer finden; den roten Mut aufbringen, das Ungewisse anzunehmen und sein Schicksal in die eigene Hand zu nehmen – und mit Glück und Können wieder in blaue Sicherheit gelangen. Hat unser Charakter genügend Schwung, könnte er sogar den nächsten Schritt in das grüne Leitmotiv schaffen …
Beispiel: Der Film „Cast Away – Verschollen“ mit Tom Hanks in der Rolle des Chuck Noland
Chuck befindet sich im orangen Leitmotiv: ein erfolgreicher, unermüdlicher Manager, der wenig Zeit für die Seinen hat – seine momentan unlösbare Aufgabe ist es, in das grüne Leitmotiv des „Wir und Familie“ einzutreten.
Ein Flugzeugabsturz schleudert ihn mitten in den Pazifik, Chuck landet allein im unermesslichen Ozean, wird an eine einsame Insel geschwemmt. Er ist mit einem Satz im beigen Leitmotiv der unmittelbaren Gefahr und totalen Einsamkeit gelandet.
In der Folge arbeitet er sich Schritt für Schritt wieder nach oben: er findet ein Bild seiner Frau, die Taschenuhr seines Vaters und eine schützende Höhle – er tritt in das purpurne Leitmotiv der „Sicherheit, Symbole und Familie“ ein. Doch nur verzweifelter Mut kann den nächsten Schritt erzeugen: Chuck muss die Insel verlassen, will er nicht sterben.
Er wirft sich todesmutig in die Brandung (rotes Leitmotiv „Kampf und Freiheit“), doch muss er erkennen, dass ohne sorgsame Planung die Naturgewalten nicht zu besiegen sind. Chuck beginnt, ein Floß zu bauen und die Gesetze von Ebbe und Flut zu beobachten – das blaue Leitmotiv „Ordnung und Pflicht“.
Mit diesem Wissen kann Chuck in die nächste Stufe eintreten: das orange Leitmotiv von „Erfolg und Wachstum“. Chuck gelingt die Flucht von der Insel, er wird von einem Tanker aufgefischt.
Wieder zuhause muss Chuck akzeptieren, dass seine Frau ihn für tot erklärt und neu geheiratet hat – eine Familie, die sie (grün) nicht verlassen will. Chuck muss alleine weiterziehen, er muss sich für Neues öffnen! Geht er wieder zurück in seine alte Firma und macht im orangen Leitmotiv weiter wie zuvor?
Diesmal, so können wir am Schluss des Filmes vermuten, wird er dieses Leitmotiv überwinden können.
Chuck entscheidet sich an der Wegkreuzung, zu der freundlichen Farmerin zurückzukehren – wir wissen, dass er nun für das grüne Leitmotiv „Familie und Menschen“ bereit ist.
Der Ablauf dieser Charakterentwicklung im Überblick:
Diese Form der Heldenreise ist eine Blaupause für viele Plots und begegnet uns in der Literatur und im Film immer wieder.
Die zweite Regel: befindet sich ein Archetyp in einem bestimmten Leitmotiv, so vereint er in sich die Erkenntnisse aller davor liegenden Stufen – tritt er in ein höheres Leitmotiv ein, so lernt er die dortigen Fähigkeiten dazu und kann das frühere Know How integrieren.
So kann ein gestandener „Blauer“ mit dem Motiv „Schule, Pflicht und Nation“ auch das purpurne „Heimat und Familie“ bestens leben und im Rahmen seiner Fähigkeit „Pflicht“ seine „roten“ Aggressionen in „geordneter Form“ ausüben – als Polizist, Geheimagent oder Soldat; das Leitmotiv „Nation“ forderte Millionen Tote in unzähligen Kriegen, der „Blaue“ kann und will sich einer solchen „Verpflichtung“ nicht entziehen.
Gelingt dem „Blauen“ ein Aufstieg in das orange Leitmotiv, so lernt er, seine eigenen Wünsche im Rahmen der bestehenden Gesetze zu verwirklichen – oder diese Gesetze in seinem Sinne zu interpretieren oder anzupassen. Wird ein „Oranger“ zu den Waffen gerufen, wird er sich genau überlegen, ob diese Verpflichtung seinen persönlichen Wünschen entspricht; und entsprechend nach eigenem Willen handeln.
Die dritte Regel: das direkt hinter ihm liegende Leitmotiv sieht der Charakter als glücklicherweise überwunden an; sein eigenes natürlich als genau richtig; das nächsthöhere als unverständlich und schädlich.
Als Beispiel ein „blauer“ Charakter: seine Leitmotive sind „Schule, Pflicht und Nation“. Jemandem, der Regeln bricht und sich keiner Ordnung unterwirft, begegnet unser „Blauer“ aggressiv: der „Rote“ landet in einem blauen Leitmotiv am Rand der Gesellschaft und vielleicht im Kittchen, um für „blau“ umerzogen zu werden … oder er wird benutzt, um für Blau gefährliche und blutige Aufgaben zu übernehmen.
Wer nicht sein Schicksal der Gemeinschaft unterwerfen will und trotzdem die Gesetze achtet – der „Orange“ – gilt dem „Blauen“ als gefährlich schlau und undurchschaubar: so fürchtet der brave Arbeiter nichts mehr, als wenn eine „Heuschrecke“ die Leitung seiner Firma übernimmt; denn der „Orange“ ist dafür berüchtigt, eherne Regeln achselzuckend über Bord zu werfen.
Der „orange“ Charakter trägt das Leitmotiv von „Erfolg und Wachstum“ in sich; er sieht die „Blauen“ als rückständig an, die Fortschritt und die Notwendigkeiten des Marktes nicht erkennen. „Blaue“ müssen sich aus Sicht eines „Orangen“ anpassen; oder sie fallen eben aus dem System. Wer nicht fähig ist, Änderungen anzunehmen, hat auch kein Anrecht, am Wachstum teilzunehmen! Die „Grünen“ allerdings beäugt der „Orange“ argwöhnisch. Sie scheinen nur zu diskutieren, lehnen notwendige Entwicklungen aus ihm unverständlichen Gründen ab. „Nachhaltigkeit“ – was interessieren „Orange“ die künftigen Generationen? „Mitgefühl“ – warum soll sich ein „Oranger“ Sorgen um irgendwelche Typen in einer abgelegenen Weltgegend machen? Sollen die sich doch anpassen und das Beste aus ihrer Situation machen! Aus der Sicht des „Orangen“ ist alles machbar, wenn man nur will.
Charaktergenerierung und „Character Dynamics“
Ein einfacher Archetyp befindet sich im „Character Dynamics“ Modell immer in einer Leitmotivstufe. Aus ihr lassen sich grundlegende Verhaltensweisen und Glaubenssätze ablesen und das Zusammenspiel mit anderen Charakteren ableiten.
So ist ein Mr. Spock blau, Captain James T. Kirk orange und Dr. „Pille“ McCoy grün – eine Kombination, die gerade aus ihrer schnörkellosen Schlichtheit über alle „Raumschiff Enterprise“-Folgen immer wieder amüsante Dialogsituationen entstehen lässt. Und ganz nebenbei dem Publikum die Chance gab, aus ihrem eigenen Leitmotiv einen Lieblingscharakter zu wählen.
Laut den „Character Dynamics“-Gesetzen wird in dieser Kombination der blaue Spock den orangen Kirk nur irritiert wahrnehmen und ihn aus reinem Pflichtgefühl akzeptieren; der grüne McCoy liegt völlig außerhalb seines Verständnismodells.
Der orange Kirk ist von Spocks Regelvernarrtheit geradezu genervt, doch erkennt und schätzt er seine Logik und Verlässlichkeit; während er dem grünen McCoy wiederum mit lächelndem Kopfschütteln begegnet – außer, er erkennt in McCoys Vorschlägen eine Möglichkeit, den Sieg zu erringen.
McCoy ist grün und vereint deshalb auch blau und orange in seinem Spektrum. Er ärgert sich über die kalte Logik Spocks und schätzt durchaus die Eigenschaft Kirks, Regeln außer Kraft zu setzen – wenn dies der Menschlichkeit und Harmonie dient!
Ein typisch angelegter Mischcharakter ist der James Bond der Sechzigerjahre. Er entspricht einmal dem tiefblauen Kämpfer für Nation und Ihre Majestät („right or wrong – my country“); und gleichzeitig dem roten Charmeur, der nichts anbrennen lässt, zerbrochene Herzen hinterlässt und dem Glücksspiel und Genuss frönt.
Bond ist dabei in der Lage, diese beiden Leitmotive verlässlich im Griff zu behalten – nie würde er den Schurken laufen lassen; und nie würde er wegen einer Liebe seine Mission opfern. Dieses Leitmotiv-Kombination entspricht dem geheimen Wunsch des blauen Zeitalters, bei aller Pflichterfüllung auch einmal das Leben richtig genießen zu dürfen. Bond gehört also in die gleiche Schublade, wie die legendären Kampfflieger des ersten Weltkriegs oder die lebensfrohen und gleichzeitig königstreuen Drei Musketiere. Bonds Gegner ist 1964 der orange, weltgewandte Goldfinger, der egoistisch nach Reichtum strebt und dabei alle Regeln bricht – für ein vorwiegend blaues Publikum der ideale Schurke.
Der James Bond von 2015 bildet wiederum das heutige, grüne Leitmotiv ab. Die „Nation“ gilt nicht mehr als das höchste Gut; politische Ränke und Verrat zwingen Bond, den Wert einer darüber stehenden, globalen Gerechtigkeit anzuerkennen. Gleichzeitig leidet er unter seiner Einsamkeit, der schnelle Genuss kann seine Schmerzen nicht lindern. Der moderne Bond muss seiner selbst und der Liebe wegen seine ganz persönliche Entscheidung treffen – und wenn es die Kündigung vom britischen Geheimdienst ist, der längst zum Spielball machtgieriger, oranger Egoisten wurde. Der Gegner Bonds ist heute komplexer aufgebaut: Oberhauser ist Bonds Halbbruder, ein roter Charmeur und sportiver Kämpfer, der Bonds blaues Zuhause infiltriert und Bond auf diese Weise klarmacht, dass die alten Regeln keinen Bestand mehr haben.
Archetypen und Character Dynamics
Die klassischen Archetypen vom „Vamp“ bis zum „Aschenputtel“ oder vom „Bad Boy“ über den „Krieger“ bis zur „Verlorenen Seele“ werden durch „Character Dynamics“ lebendig und können durch Situationen geführt werden, die der Leser wieder erkennt und mitfühlen kann.
Am Anfang steht immer ein Basis-Leitmotiv (das in meinem „Charakter Generator“ automatisch zugefügt wird). So befindet sich ein „Aschenputtel“ oft im beigen Leitmotiv der Einsamkeit und Angst; kann aber auch im purpurnen Familienverband, im blauen Pflichtbewusstsein oder im grünen Familienmotiv beheimatet sein.
Die Aufgabe, die unserem Aschenputtel bevorsteht, ist grundsätzlich, die angebotene Hilfe anzunehmen – und ganz eigennützig in das nächstliegende „Ich“-Motiv auszubrechen.
Je nach Basis-Motiv ändern sich die Anforderungen an unser „Aschenputtel“ – wird es ganz klassisch wie im Märchen zur purpurnen „Mutter“ im Familienverband des Prinzen? Findet es aus einem roten Schlachtfeld in eine neue Sicherheit? Wagt es aus der erstickenden, blauen Pflicht den Sprung in „Erfolg und Wachstum“? Oder erkennt es als Verliererin im orangen Wettbewerb den Wert von Harmonie und Familie?
Dabei wird in der magischen Welt des Märchens vielleicht eine gute Fee (purpur), in der gesetzlosen Umgebung der roten Westernstadt ein raubeiniger Sheriff (blau), in der blauen Welt einer tragischen Eheverpflichtung ein oranger Mutmacher und in der orangen Szene eines seelenlosen Weltkonzerns ein grüner Aktivist unserem Aschenputtel als „Supporter“ zur Seite stehen.
In diesem Fall würde das Aschenputtel allerdings zunächst auf die purpurne Stufe steigen – bis sie die archaischen Einstellungen ihrer Herkunft ganz überwinden und sich gar in die Welt ihres Retters integrieren kann, stehen ihr und ihrem Geliebten noch einige Aufgaben bevor!
Und das Leserpublikum?
Auch die Leser lassen sich durch „Charakter Dynamics“ beschreiben. In unserer Gesellschaft dominieren die Farben blau, orange und grün, wobei das dominierende Blau der Nachkriegszeit langsam abnimmt, Orange seinen Scheitelpunkt erreicht zu haben scheint und Grün mehr und mehr zunimmt.
Eine blaue Leserin liebt das Spiel mit dem roten Feuer, doch muss ihr Held zurück auf den blauen Weg von Moral und Verpflichtung geführt werden; eine orange Leserin fürchtet um ihren Helden, wenn er von blauen Verpflichtungen begrenzt wird und genießt mit ihm orangen Erfolg; die grüne Leserin weiß, dass eine emotionale Öffnung des orangen Helden ihm Harmonie und Liebe schenken wird.
So haben wir auch hier das Aufstiegsspektrum, mit dem wir jedem Leser ein Bonbon verpacken können: rote Freiheit, blaue Sicherheit und grüne Harmonie. „Große“ Romane und Filme bieten meist ein solches erweitertes Spektrum.
Bei einfarbigen Genres (roter Vollerotik oder grün-spiritueller Literatur) wird der Rahmen enger gefasst und erreicht nicht mehr das gesamte Publikum.
Lesen Sie dazu die Rezensionen von erfolgreichen Romanen und achten Sie auf die unterschiedlichen Wahrnehmungsarten. Manche Leser stellen die Emotion des Buches in den Vordergrund, manche freuen sich vor allem über die Spannung – und manche bewerten ein „keine Rechtschreibfehler gefunden“ bereits mit fünf Sternen. Eher blaue Leser tendieren oft dazu, Struktur und die Rechtschreibung zu bewerten; orange berichten von dem Kick, den ihnen ein Roman gegeben hat und grüne von den Taschentüchern, die sie verbraucht haben.
Wobei zum Schluss gesagt werden muss: die Beurteilung echter Menschen mit ihren weitaus vielfältigeren Eigenschaften ist durch so ein einfaches Schubladenmodell wie „Charakter Dynamics“ nur sehr (!) begrenzt möglich. Trotzdem kann dieses Modell durchaus Hinweise geben, wie ein Autor seine Leserschaft einschätzen kann.
Als 0815 Autor, der sich versucht, im Dschungel der Autoren Fuß zu fassen. Bleibe ich bei meinem Charakterbögen, die ich für jeden Protagonisten erstellt habe. Natürlich werden Liebesromane, wo Mann die Frau bekommt, gerne gelesen. Als, wenn der Mann die Frau nicht heiraten will aus undefinierbaren Gründen. Das Farbschema kann für Krimiautoren, Thriller oder Ähnliches gut sein.
Leider funktioniert die Seite mit dem Charaktergenerator nicht.
Sie schreiben detailiert und definitiv mit dem Hintergrund literarischen Fachwissens und wer sich an Ihre „Anleitung“ haelt hat gute Chancen, einen Bestseller fuer den Tag zu landen. Daher verzeihen Sie mir hoffentlich, wenn ich Ihrem Romaneschreiben-nach-Farben Kompendium zwar das Zeug zum Pfichtenheft fuer einen Schreibroboter zubillige, ihm aber die Faehigkeit absprechen muss, bei der Geburt von Weltliteratur Pate zu stehen.
Fast jeder Mensch, das schliesst die Putzfrau wie den Dikator ein, nimmt fuer das eigene Handeln Ideale und selbstlose Ziele in Anspruch. Alles andere setzt einen ja auch fast zwangslaeufig der Kritik durch die Gemeinschaft aus, auf deren Unterstuetzung man gerade als Fuerhungspersoenlichkeit angewiesen ist. Doch worauf es dem guten Autor oder der Autorin ankommen sollte ist, den Schleier des Selbstbetrugs vom Angesicht des Protagonisten wie auch von dem seiner Gegenspieler(n) zu reissen.
Ihre Anweisung taugt zum Schreiben guter Maerchen – und schoene Maerchen werden immer ihr Publikum finden. Doch das wahre Leben ist kein Zuckerschlecken und wer *das* beschreiben will, dem ist mit Farbkodierungen und linearen Aufstiegen wenig geholfen. In der richtigen Welt steigt der Koenig Morgens mit den edelsten Motiven aus dem Bett und hat vor Mittag schon seinen halben Hofstaat umgebracht.
Und ein ueberragend guter Autor bringt es fertig diesen Tag zu beschreiben, ohne den Monarchen einfach nur als durchgeknallt verrueckten Boesewicht hinzustellen.
Im wahren Leben faehrt unsere Moral alle Tage Achterbahn – und das 24 Stunden lang.